Das Herz rast…

Ein neuer Arzt oder Therapeut aufzusuchen, fühlt sich für mich an wie Prüfungsangst. Vor der Tür stehen, kurz bevor eine mündliche Prüfung losgeht. Ich leide an Prüfungsangst. Das Herz rast, der Magen ist unruhig, und ich habe starke Fluchtinstinkte. Gerade, wenn die Sprechstundenhilfe von der Gattung Drachenwesen stammt.

Ich tue mich schwer damit, Vertrauen aufzubauen. Wenn ich einen Arzt finde, zu dem ich Vertrauen habe, ist für mich ein Wechsel wie das Ausreißen eines Gliedmaßes – schmerzhaft!

Vertrauen weggespart

Auf dieser langen Reise zur Diagnose, habe ich sehr viele Ärzt*innen und Therapeut*innen kennenlernen dürfen. Immer, aber besonders, wenn man chronisch krank ist, braucht man viel Vertrauen zum Arzt. Im Gegenzug braucht auch der Arzt Vertrauen zum Patienten. Leider wurde das Vertrauen über viele Jahre “weggespart”, denn für ein Gespräch mit dem Azt gibt es sehr wenig Zeit.

Ein Gespräch ist das, was ich oft gebraucht hätte. Ich habe auch Ärzte kennengelernt, die sich Zeit für ihre Patienten nehmen. Sie stehen unter vielen ökonomischen Zwängen. Das dank des Gesundheitssystems, das seit den 70er Jahren immer mehr Fokus weg vom Patienten hin zur Wirtschaftlichkeit genommen hat. Manchmal habe ich sogar ein schlechtes Gewissen, wenn sich ein Arzt Zeit für mich nimmt. Wie paradox ist das denn? Andererseits hatte ich manchmal das Gefühl, ich störe hier, meine Krankheit nimmt zu viel Zeit in Anspruch und die führt zu nichts, also lasse ich den Termin wieder sein. Alles kein fruchtbarer Boden für Vertrauen. Sich schämen

Die Ursache

Die Ursache liegt größtenteils im System,

Einem System, das „paradoxerweise auf der einen Seite finanzielle Anreize für ein Übermaß an medizinischen Leistungen bietet und andererseits durch Budgetierung verhindert, dass alle Patienten eine sinnvolle und notwendige Behandlung erhalten“,

Prof. Robert Jütte, Leiter des Instituts für Geschichte der Medizin der Robert-Bosch-Stiftung

Ankowitsch, E. (2013). Arzt-Patient-Beziehung: Vertrauen über Jahrzehnte weggespart. Abgerufen 16. Mai 2020, von https://www.aerzteblatt.de/archiv/147802/Arzt-Patient-Beziehung-Vertrauen-ueber-Jahrzehnte-weggespart

denn ich gehe davon aus, dass die meisten Ärzt*innen diesen Beruf aussuchen, weil sie Menschen heilen und Leben retten wollen. Zum Heilen gehört definitiv das Gespräch.

Vertrauen lindert Schmerzen

Studien haben bewiesen, dass Vertrauen und Nähe zum Arzt, Schmerzen reduzieren können. Das wird “Soziale Placebo Effekt” genannt. Je größer das Vertrauen und das Gefühl, dass der Arzt einen versteht und in manchem ähnlich denkt, desto weniger empfinden wir anscheinend Schmerzen. Das heißt, wenn wir glauben, dass der Arzt uns, aufgrund Vertrauen, helfen kann, sendet das Gehirn Signale, die den Schmerz reduzieren. Die Universität Heidelberg hat in einer Studie untersucht, ob eine Verbesserung der Arzt Patient Beziehung Schmerzen lindert, und, ob Patienten, denen es schwerer fällt, als andere, eine neue Beziehung aufzubauen, mehr davon profitieren. Gerade für solche Menschen kann der Arztbesuch so was wie Prüfungsangst auslösen. Arzt-Patient-Beziehung verbessern

Wie wird Vertrauen erzeugt?

  • indem ich als Patient das Gefühl habe, dass der Arzt mich ernst nimmt.
  • indem das Gespräch auf Augenhöhe geführt wird und nicht herablassend.
  • indem man mich erzählen lässt (im Rahmen) und nicht beim ersten Stichwort unterbricht, um das Gespräch schnell zu beenden.
  • indem der Arzt Fragen stellt und zwar nicht nur, ob ich ihn verstanden habe.
  • indem der Arzt so mit mir redet, dass ich ihn verstehen kann und mich animiert Fragen zu stellen.
  • indem der Arzt mir vermittelt, dass er sich Zeit nimmt, und sich in mich hineinfühlt.
  • indem er auf meine individuelle Situation eingeht, und nicht stur auf das Lehrbuch beharrt.
  • indem der Arzt mich in seine Behandlungsvorschläge einbezieht und mich mitreden lässt.

Das ist natürlich keine Einbahnstraße, ich kann als Patient auch dazu beitragen, indem ich

  • mich auf das Gespräch vorbereite, aufschreibe was ich sagen will, alles notiere, was mir zu meinen Symptomen einfällt.
  • versuche nicht in das Gespräch mit einem Misstrauensvorschuß zu gehen, sondern offen zu sein.
  • wenn ich Angst habe, es anspreche (Herzrasen!)
  • wenn möglich, meine Notizen mit Stichworten ergänze über das, was der Arzt gesagt hat, damit ich das nicht gleich wieder vergesse und falsch in Erinnerung habe.

Was fällt Euch dazu ein, wann habt Ihr Vertrauen, und was tut Ihr dafür? Schreibt gerne was in den Kommentarbereich.

Ich habe dieses Gedicht für ein Projekt geschrieben. Es trifft natürlich nicht auf jeden Arzt und jede Praxis zu, aber ich habe diese Erfahrung gemacht, so sollte es nicht sein:

Hallo, sehen Sie mich?

Ich sitze hier auf dem Stuhl in Ihrem Sprechzimmer.

Vorher saß ich auf dem Stuhl im Wartezimmer – lange.

Ich kann nicht lange sitzen – es tut weh…

Hallo sehen Sie mich? Sehen Sie mich?

Sie können mich nicht übersehen, ich habe 20 Kilogramm zugenommen, seitdem ich diese Krankheit habe.

Nein, ich esse nicht dauernd Schokolade.

Ja, ich versuche mich zu bewegen.

Hallo, sehen Sie mich?

Irgendwie scheine ich Suaheli zu sprechen, denn keiner hört mir zu.

Ich passe nicht zu den Krankheiten, die in den Lehrbüchern beschrieben werden.

Hallo sehen Sie mich?

Hören Sie mir zu? Mir, hier bin ich. Auf dem Stuhl vor Ihnen.

Ich bin keine Krankheit. Ich bin ein Mensch.

Ich bin nicht vegetative Dystonie, psychosomatische funktionelle Dysbalance, Reizdarm, Reizmagen, Allodynie … ich bin ein Mensch, ich erzähle Ihnen von mir.

Sie telefonieren, Sie schreiben, Sie scrollen, Sie blättern, Sie hören mir nicht zu.

Sie glauben mir nicht.

Ich sitze wieder hier.

Ich stehe auf und gehe.

 

©Dawn Garroch

Quellen:

K, N. (2017, Mai 8). Vertrauen und Nähe zum Arzt mindern Schmerzen . Abgerufen 19. Mai 2020, von https://www.aponet.de/aktuelles/forschung/20170508-vertrauen-und-naehe-zum-arzt-mindern-schmerzen.html

Kutscher, P. (2013). Die Arzt-Patient-Beziehung: Sieben Tipps, wie Sie die Kommunikation mit den Patienten verbessern. Abgerufen 20. Mai 2020, von https://www.aerzteblatt.de/archiv/143422/Die-Arzt-Patient-Beziehung-Sieben-Tipps-wie-Sie-die-Kommunikation-mit-den-Patienten-verbessern

Albat, D. A. (2019, Oktober 22). Therapie: Was die Einstellung des Arztes bewirkt. scinexx.de. https://www.scinexx.de/news/medizin/therapie-was-die-einstellung-des-arztes-bewirkt/

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