Scham, ein wichtiges menschliches Gefühl. Scham treibt uns dazu, geltende Normen einzuhalten. Aber ist dieses Gefühl immer gerechtfertigt? Bei chronisch kranken Menschen entsteht Scham oft aus der Angst, nicht mehr zu genügen.

Ich war sehr lange krankgeschrieben. Irgendwann musste ich mir eingestehen, dass ich so nicht mehr arbeiten kann. Ich lebte in einer Parnerschaft und fühlte mich nicht ebenbürtig, weil ich so viel, meinem Empfinden nach, nicht mehr konnte. Meine Tochter war noch ziemlich jung. Wir haben ein sehr enges Verhältnis. Manchmal tat mir eine Umarmung weh. In jeder Rolle, war ich degradiert worden, so kam es mir vor.

Dabei bin ich eine sehr spontane, flexible, tatkräftige Person mit vielen Ideen. Meinem damaligen Chef konnte ich nicht erklären, was ich hatte. Mit meinem Partner stand ich am Anfang unserer Beziehung. Er hat viel über die Krankheit recherchiert und mir viele Fragen gestellt. Freunde sagten ihm “Du übernimmst ganz schon viel Verantwortung.” Wir sind heute verheiratet. Meine Tochter liebte mich bedingungslos, egal wie ich aussah oder was ich hatte. Wahrscheinlich war ich selbst das größte Problem. Ich fühlte mich nicht mehr zugehörig, nicht mehr würdig, und ohne Würde.

Schamgefühl hatte ich, dabei war ich “nur” krankgeworden. „Schau dich an, du hast ein Kind bekommen, und bist in diesem Zustand“! Ermahnung einer nahestehenden Person. Durch die vielen Medikamente, vor allem am Anfang, hatte ich viel zugenommen. Ich fühlte mich nicht mehr leistungsfähig, nicht mehr Teil der Gesellschaft. Und das Gefühl wurde mir von meiner Umgebung bestätigt. Oft wurde ich gefragt, “Wann es soweit ist?” Also wann das Kind kommt. Als ich weit über 50 war, begann ich das als Kompliment zu sehen.

Wenn ich meine Biographie anschaue, dann finden sich schon eine Menge schwierige Episoden. Für mich war das aber normal. Kinder sind sehr anpassungsfähig, zumindest sieht es oberflächlich so aus. Als ich bei einer ADHS-Therapeutin war, für die ich ein Resumée meiner Biographie schreiben durfte, sagte sie “So eine Vita habe ich lang nicht mehr gelesen.” und ich war überrascht. (ADHS bedeutet “Aufmerksamkeitsdefizit und Hyperaktivätssyndrom. Bei mir fehlt das “H”.) https://shamethepain.de/adhs-und-fibromyalgie/

Oft resultierten daraus Beschwerden, die ich aber nicht im Zusammenhang damit gebracht habe. Als Beispiel: Mein Vater war drei Mal verheiratet, Meine Mutter vier Mal. Ich stamme aus der zweiten Ehe. Ich bin sehr viel in meinem Leben umgezogen, habe alleine 6 verschiedene Grundschulen besucht. Immer wieder musste ich mich von Freunden verabschieden, neue finden. Bis ich das nicht mehr tat. Es wurden mir neue Familien präsentiert, die dann auch wieder gingen. Mit fünfzehn litt ich unter Anorexie, was mir natürlich nicht bewusst war. Damals sprach kein Mensch darüber. Später ereignete sich ein Vertrauensbruch im Zusammenhang mit der Krebsbehandlung meines Vaters, die ich an anderer Stelle beschreibe. Das hat leider sehr nachhaltig mein Verhältnis zu Ärzten beeinflusst.

Das sind jetzt nicht die grausamsten Dinge, aber sie hatten eine Wirkung. Es gibt eine Kette davon. Ich bin ziemlich sicher, dass viele von Euch auch eine Kette von Episoden erlebt habt, die sich irgendwie körperlich ausgewirkt haben.

Es ist wichtig, der Krankheit Raum zu geben, auch wenn das komisch klingen mag, denn eigentlich wollen wir sie nicht in unserem Leben haben. Aber sie verdient ihren Raum. Erst dann können wir ein paar Schritten zurückgehen und uns von ihr nicht zu eingeengt fühlen.

Krank zu sein ist nicht ein Grund, sich zu schämen, sich zu verstecken, oder ein schlechtes Gewissen zu haben. Wir sind nicht schuld an dieser Krankheit. Klick um zu Tweeten

Das hat mir eine Ärztin geschrieben.

Später in der Selbsthilfegruppe und in Fortbildungen habe ich gesehen und erlebt, dass nicht nur ich, sondern sehr viele Menschen sich ihrer Krankheit schämen und dieser Scham als was sehr Belastendes erleben. Solche Gefühle können manchmal so belastend sein, wie die Krankheit selbst.

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Habt Ihr auch solche Gefühle gehabt?x

Was ich gelernt habe, und auch weitergeben möchte, ist. Es tut gut den Scham loszulassen. Das klingt einfach, ist es aber nicht, denn er hat sich über langer Zeit aufgebaut und hängt oft mit irgendwelchen Verhaltensmustern zusammen. Bestimmt hast du mal zu einem anderen Menschen mal gesagt “das ist kein Grund sich zu schämen”. Das kann man auch sich selbst sagen, wenn nötig ganz oft.

Über Scham und Verletzlichkeit habe ich viel von der Forscherin und Autorin, Brené Brown, gelernt. Von ihr gibt es inspirierende Vorträge auf „TED Talks“. Sie sagt: “Ich definiere Scham als das äußerst schmerzhafte Gefühl oder die Erfahrung zu glauben, dass wir fehlerhaft und daher der Liebe und Zugehörigkeit unwürdig sind.” Lass den Satz mal einsickern. “…der Liebe… unwürdig.” Schon mal gefühlt? Was an ihr so schätze, ist, dass sie über ihrer eigenen Erfahrungen mit Scham und Verletzlichkeit sehr humorvoll aber authentisch erzählt. Sie hat auch eine tolle Homepage und Blog wo du viel Inspirierendes und Ermutigendes findest in Englischer Sprache.https://brenebrown.com/ dort findet Ihr auch ihre Videos auf English. Auf TedTalks findet Ihr manche mit deutschen Untertiteln.

Hieraus kam auch die Inspiration zur Blogname „Shame the pain“ (nicht mich, nicht uns! )

Photo by Hadis Safari on Unsplash Woman with Flower