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Der Diagnose geht eine lange Reise voraus
Irgendwann bekommst du die Diagnose. Bei mir war das Anfang 2004. Davor ist ein langer, steiniger Weg. Heute siehst du nicht mehr überall fragende Blicke, wenn du sagst, „Ich habe Fibromyalgie“. Heute hörst du nicht ganz so oft Sätze wie „Fibromyalgie gibt es nicht, das ist, wenn Ärzte keine Lust haben ihre Arbeit zu machen“. Wann begann tatsächlich die Fibromyalgie bei mir? Es gab und gibt noch so viele Theorien darüber, was die Krankheit auslöst. Es gibt viele Gemeinsamkeiten unter den Betroffenen, die an der Entwicklung der Krankheit beteiligt sein könnten. Hier möchte ich auf eine Studie eingehen, die mögliche Ursachen herausgearbeitet hat.
Stationen auf diesem Weg
Bis jetzt wurde noch kein spezifsiches Gen entdeckt, das Fibromyalgie verursacht. Aber die Krankheit kommt gehäuft in Familien vor. Ich bin jetzt beinahe 57. Meine Eltern und Großeltern kannten keine solche Diagnosen, aber es gab in der Familie Krankheiten wie Lupus, Typ 1 Diabetes, Hashimoto Thyreoiditis, entzündliche Darmerkrankungen. Das sind Autoimmunkrankheiten. Eine Studie sagt, dass eine Autoimmunreaktion an der Pathogenese (Entstehung) der Erkrankung bei einem Teil der Fibromyalgie-Patienten. beteiligt zu sein scheint.
Ich hatte zwei bedeutsame Verkehrsunfälle. Danach hielten die Schmerzen ungewöhnlich lange an. Nach ca. 6 wochen hieß es dann immer, sie dürften keine Schmerzen mehr haben. Der Subtext war “Sie reagieren über, oder sagen nicht die Wahrheit”. Das war schon vor fast 40 Jahren.
Es gab sehr viele Veränderungen. Die Erste, an die ich mich erinnere, ist die erste Trennung meiner Eltern. Ich ging morgens zur Schule, nachmittags wurde ich geholt. Wir fuhren nicht “nach Hause” sondern zu einer Wohnung in der Stadt. “Hier wohnen wir jetzt” sagte meine Mutter und das war die einzige Erklärung, die ich bekam.
ADHS – Aufmerksamkeits-Defizit-Hyperaktivitäts-Syndrom habe ich seit meiner Kindheit. Es wurde aber erst diagnostiziert als ich 40 war. Das kann ein Teil der Konzentrationsstörungen erklären. ADHS und Fibromyalgie
Es wäre mühsam und würde euch langweilen, wenn ich alle Begebenheiten in meinem Leben auflisten würde, die evtl. die Fibromyalgie begünstigt haben.
Studie benennt 4 Themengruppen
Im Rahmen einer Studie, die 2018 in Großbritannien durgeführt wurde, wurden 596 Betroffenen zu den Ursachen ihrer Fibromyalgie befragt. Sie haben erzählt, welche Begebenheiten ihre Schmerzen gezündet oder verschlimmert haben. Diese Aussagen wurden dann, nach Thema, analysiert und sortiert. Vier Themenbereiche haben sich herauskristallisiert:
- Körperverletzung, schlechte Gesundheit
- Emotionales Trauma und Not
- Stress und Verletzlichkeit
- Fibromyalgie erklären und rechtfertigen
Körperverletzung, schlechte Gesundheit, und Veränderung
Was bedeutet das? Erzählungen über physischen Ursachen für Fibromyalgie. Zur Sprache kamen Körperverletzungen: Unfälle, Angriffe von Dritten, Operationen, Gifte und Allergene, und physische Krankheiten. Besonders häufig gab es Verletzungen der Wirbelsäule, insbesondere die Halswirbelsäule. Es gab meistens mehrere physische Vorkommnisse.
Emotionales Trauma und Not
Was ist damit gemeint? Erfahrungen, die in erster Linie eine emotionale oder psychische Wirkung hatten. Erzählt wurde von schlechter psychischer Gesundheit, Verlust, Trauer, Schock und Trauma, den Auswirkungen von Missbrauch, und excessivem Mobbing. Es wird auch von der Schwierigkeit berichtet, ein, nach außen hin normales Leben zu führen, mit abnormal schweren psychologischen und emotionalen Rahmenbedingung.
Stress und Verletzlichkeit
Was ist hier gemeint? Belastungen, die die Teilnehmer in ihrem täglichen Leben überwinden mussten. Die Pflege eines Angehörigen, z.B. Elternteil (das kann bereits als Kind gewesen sein), schwierige Situationen im beruflichen Umfeld, finanzielle Notlagen, Beziehungskonflikte. In manchen Fällen war die Gewöhnlichkeit dieser Erfahrungen sehr abgrenzend von den oben beschriebenen traumatischen Erlebnissen. Manchmal wurde eine Anfälligkeit, Fibromyalgie zu entwickeln, in Zusammenhang damit gestellt, wie generell in Familien mit Krankheit umgegangen wurde.
Fibromyalgie erklären und rechtfertigen
Und das bedeutet? Die Mehrheit der Teilnehmer boten klare Erklärungen für die Entstehung und Verschlechterung ihrer Krankheit, obwohl sie in einer Umgebung lebten, wo die Entstehung, ja die Existenz der Krankheit Fibromyalgie immer noch in Frage gestellt wurde. Fibromyalgie war ein logischer Teil ihres Lebens. Es war beachtlich, dass diese Berichte so eindeutig, klar und detailliert waren, obwohl ihre familiäre Umgebung, Ärzten und die Gesellschaft, die Krankheit Fibromyalgie abgelehnt, abgetan haben.
Wann und wie Fibromyalgie beginnt, ist damit noch nicht klar.
Klar wird, dass die Ursachen der Fibromyalgie nach wie vor sehr komplex sind.
Die Ergebnisse der Studien unterstreichen, wie kompliziert die Entstehung der Krankheit ist, und untermauern bereits erworbenen Kenntnisse. Das trifft besonders auf Stress und Verletzlichkeit zu.
Sie deuten auch darauf hin, dass die Teilnehmer unabhängig voneinander viel Ähnliches erzählt haben, was die Entstehung ihrer Krankheit und was dem vorausgegangen ist, betrifft. Insofern sind diese Erkenntnisse bedeutsam für weitere Forschung und für alle, die in ihrer Behandlung involviert sind.
Was bedeutet das alles im hier und jetzt?
Dass du krank geworden bist, bedeutet nicht, dass du versagt hast, dass du im Angesicht von Trauma, Stress und anderen schwierigen Situationen, unfähig warst, damit umzugehen. Du kannst resilient sein und trotzdem krank werden. Resilienz haben bedeutet nicht kein Schmerz zu empfinden, oder dass einem Trauma nichts ausmacht. Es bedeutet die Fähigkeit quasi zurückzuspringen. Die Frage ist nur, wie oft kannst du das? Die Antwort darauf ist für jeden Menschen anders. Lernen resilient zu sein, kann auch Teil einer Bewältigungsstrategie sein.
Ich denke, es ist wichtig nach Vorne zu schauen. Am Anfang nach der Diagnosestellung begibt man sich auf die Reise in die Vergangenheit. Vielleicht können wir mit unseren Erfahrungen helfen, das Rätsel über die Entstehung der Krankheit zu lösen. Dann aber ist es wichtig nach Vorne zu schauen, die Reise forzuführen, ein neuer Weg zu finden. So gut wir es können, und das ist genug.
Quellen:
Fischer, A., Mittenzwei, M., & Jirikowski, G. (2018). Fibromyalgie als Autoimmunerkrankung? – Eine Pilotstudie. Physikalische Medizin, Rehabilitationsmedizin, Kurortmedizin, 28(4), 10. https://doi.org/10.1055/s-0038-1668261
Furness, P., Vogt, K., Ashe, S., Sophie Taylor, S., Haywood-Small, S., & Lawson, K. (2018, September 25). What causes fibromyalgia? An online survey of patient perspectives. Abgerufen 19. Mai 2020, von https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC6158621/
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